Medialer Super-GAU

Am 25. Juli 2006 ereignete sich im schwedischen Kernkraftwerk Forsmark ein Störfall, der ein gewaltiges Medienecho auf sämtlichen Verbreitungskanälen auslöste. Vorschnell – noch bevor erste gesicherte Fakten veröffentlicht wurden – sprach bereits eine Grosszahl der Medien – allen voran die Boulevard-Fraktion – von einem «zweiten Tschernobyl» oder einem «Beinahe-GAU». Im gleichen Fahrwasser folgten die Atomkraftgegner, die einmal mehr den totalen Ausstieg proklamierten und als Argument dafür den erbrachten «Beweis» anführten, «dass auch Kernkraftwerke nach westlichem Standard völlig unsicher seien».

Wie sich nun im Nachhinein herausstellte, wurde das Ereignis von den Medien (unnötig) hochstilisiert. Der Vorfall wurde von der internationalen Atomenergiebehörde auf Stufe 2 in der von 0 bis 7 reichenden INES-Gefährungsskala eingeordnet. Es handelte sich dementsprechend um einen «begrenzten Ausfall der gestaffelten Sicherheitsvorkehrungen», jedoch mit genügend Sicherheitsmarge, um weitere Fehler aufzufangen.

Ausgelöst wurde der Störfall durch einen Kurzschluss, durch den das KKW automatisch von der Stromversorgung getrennt wurde. Somit konnte die im Reaktor produzierte Wärme nicht weiterhin in elektrische Leistung gewandelt werden. Infolge dessen wurde der Reaktor vom Sicherheitssystem heruntergefahren. Die dafür benötigte Leistung sollten vier Notstrom-Dieselgeneratoren liefern, von denen aber nur zwei anliefen. Diese reichten, um genügend Leistung für das Herunterfahren des Reaktors zu produzieren, jedoch nicht zum Betrieb der Überwachungsinstrumente im Kontrollraum. Dadurch befanden sich die Arbeiter auf einem 23-minütigen «Blindflug», der erst durch das manuelle Starten der beiden Dieselgeneratoren beendet werden konnte. Wie sich im Nachhinein herausstellte, betrug der Reaktorfüllstand während dem Störfall immer noch zwei Meter, die Gefahr einer Kernschmelze bestand daher nicht.

Die eingangs erwähnten Schlagzeilen schossen also weit über das eigentliche Ziel hinaus. Es wurde ungeachtet der Fakten aus einem «möglichen Störfall» sofort ein «schwedisches Tschernobyl» kreiert. Dies ist meines Erachtens einerseits unseriös und effekthascherisch, andererseits angesichts des Kontrasts zwischen der spärlichen Informationen zu Beginn und des schnelllebigen Kommunikationszeitalters teilweise verständlich.

Was ich hingegen sehr bedaure, ist die Tatsache, dass nun bei weitgehend geklärter Faktenlage in den wenigsten Medien eine Richtigstellung in Form eines fundierten Artikels erscheint. Natürlich gibt es dabei auch lobenswerte Ausnahmen inklusive einer kurzen Erklärung auf Wikipedia. Solche Ereignisse und deren Behandlung trennen aus meiner Sicht die Medienspreu (Boulevard) vom Weizen sehr schön und vor allem anschaulich.

Man sollte sich folglich seine Informationsquellen sorgfältig auswählen und – weit wichtiger – sämtliche Meldungen stets mit gesundem Menschenverstand und kritischer Grundhaltung hinterfragen. Natürlich darf’s dann zur Unterhaltung auch ein bisschen Boulevard sein.

Zum Schluss sei noch die (philosophische) Frage erlaubt, ob das Akronym GAU, das für den grössten anzunehmenden Unfall steht, überhaupt zu Super-GAU gesteigert werden kann? Wikipedia meint ja, andere verneinen dies vehement. Wie dem auch sei, zumindest habe ich diesem Blogeintrag damit einen brisanten Titel verleihen können!

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