Jungfrau-Marathon

Nachdem ich vor Jahresfrist bei bestem Wetter aus privaten Gründen am Morgen vor dem Lauf aus Interlaken abreisen musste, wollte ich die offene Rechnung mit der Jungfrau dieses Jahr begleichen. Bei diesem Lauf in schönster Umgebung hofft man natürlich umso mehr auf Wetterglück, dieses scheint in der Vorwoche jedoch nicht einzutreffen. Und so ist es am Freitag bei Anreise noch schön, doch Regen ist am Samstag fest eingeplant – die Prognosen sind sich nur noch nicht einig, wann genau dieser einsetzen soll.

Erste Tropfen fallen bereits am Morgen in Interlaken, so dass ich mich für kurz/kurz mit Ärmlingen entscheide. Dies ist zwar für die erste Hälfte eher zu warm, doch sollen es auf der Kleinen Scheidegg nur gerade 5 °C bei Regen werden. Der Anlass ist perfekt durchorganisiert und die Stimmung im Startgelände trotz fehlendem Sonnenschein bestens. Ich verlade mein Gepäck zum Transport ins Ziel, laufe locker ein und nutze die Selbstmassage-Stationen während ich die Startstimmung auf mich wirken lasse und geniesse. Gerade um die Alphornbläser und Fahnenschwinger sammeln sich Heerscharen von asiatischen und arabischen Touristen.

Um 08:30 Uhr erfolgt der Startschuss durch Dario Cologna. Eine Premiere bei der Jubiläumsausgabe zur 25. Durchführung ist der Blockstart in Abständen von fünf Minuten. Mit meiner Zielzeit starte ich im ersten Block zusammen mit der Elite. Anders als bei meinen bisherigen Marathons geht die Masse den Lauf eher gemütlich und sogar leicht unterhalb meiner Zielpace an. Die Strassen sind aber breit, so dass ich mich schnell einordnen und gemäss meinem Fahrplan laufen kann. Ich habe mehr oder weniger nach meinem bewährten Sub-3-Marathon-Trainingsplan trainiert und visiere hier eine Sub-4-Zeit an.

Auf der grösstenteils flachen ersten Hälfte habe ich mir vorgenommen, mit der Marathonpace von 4:15 min/km zu laufen und anschliessend zu schauen, was die Beine hergeben. Auf den ersten Kilometern bin ich leicht schneller, was sich bei den Steigungen Richtung Lauterbrunnen wieder aufhebt. Gerade in den leichten Bergaufpassagen ist es jeweils schwierig, einzuschätzen, was die optimale Pace ist, ohne zu überdrehen. Zumal ich mich sehr gut fühle und den Lauf geniesse.

In Lauterbrunnen werden wir Läufer herzlich von den Zuschauern am Strassenrand empfangen. Es geht durchs Dorf hindurch zu einer Zusatzschleife im Landegebiet der Base-Jumper. Und in der Tat öffnet sich direkt über mir mit lautem Rauschen ein Fallschirm und der Base-Jumper gleitet zur Landewiese links neben der Laufstrecke. Im engen Tal zwischen den Felswänden lässt sich kurzzeitig sogar die GPS-Uhr aus der Ruhe bringen und erarbeitet sich eine Abweichung gegenüber der gelaufenen Strecke. Erst am Fusse des Aufstiegs findet sie sich wieder.

Und dieser Aufstieg nach Wengen kurz nach Kilometer 25 hat es in sich. Eigentlich eher eine Wand denn ein Weg. Auf dem Streckenprofil sah es schon steil aus, aber die erstmalige Erfahrung ist nochmals eindrücklicher. Ich wechsle zwischen Laufen und Gehen und kämpfe mich hoch. Gemäss Zeitmessung mache ich in dieser Phase einige Ränge gut, auch wenn es sich ziemlich langsam anfühlt. Noch vor dem Dorf wird der Weg wieder laufbar und ich kann Tempo aufholen. Ich fühle mich richtig gut und fliege förmlich Wengen entgegen.

Die Stimmung im Dorf ist super aber schnell vorbei. Es wartet der nächste Aufstieg. Langsam macht sich der Hunger bemerkbar. Bisher habe ich nichts gegessen, jedoch von der ersten Möglichkeit an neben Wasser auch Bouillon zu mir genommen, um das Salz zu ersetzen. Da ich gegenüber dem normalen Marathon etwa eine Stunde länger unterwegs sein werde, muss wohl festere Nahrung her. Ich entscheide mich für einen Winforce-Gel, von denen ich zwei dabei habe und weiss, dass ich sie gut vertrage. Den Magen möchte ich mir nämlich höchst ungern «kaputt machen», so kurz nach Kilometer 30. Bei der nächsten Verpflegungsmöglichkeit «Café Oberland» schnappe ich mir ein Wasser und geniesse den Gel, der den Hungerast erfolgreich verhindert.

Der Nebel wird mit steigender Höhe dichter und die Feuchtigkeit nimmt zu. Ich kann den Grossteil laufen, muss aber bei den steilen Passagen immer wieder Gehpassagen zulassen. Die Strecke ist perfekt markiert und sogar alle 250 Meter ausgeschildert. Bei den Kilometermarkierungen stehen zusätzlich (vom Start weg) Helfer und feuern die Läufer an – Spitzenklasse. Einige Streckenposten haben nach Wengen noch zusätzliche Aufgaben: Da die Strecke nicht über die Weideroste sondern daneben durch führt, müssen die Kühe aktiv zurückgehalten werden.

Die schlechten Sichtverhältnisse lassen leider das Geniessen der Aussicht nicht zu. Zudem weiss ich bei meiner Premiere bei Sichtweiten von unter 100 Metern auch nicht, wie lange die Steigung noch anhält respektive wo der Weg sich fortsetzt. Eigentlich müsste langsam die Moräne kommen, denke ich mir… Doch noch laufen wir über Wiesen und Schotterwege, deren flache Steine schön rutschig sind. In den Sanitäts- und Massagezelten sieht man ab und zu wieder jemanden dick eingepackt sitzen. Die Waden ziehen sehr bei den steilen Passagen und lassen dort ein Laufen nicht mehr zu. Ohne klares Ziel vor Augen ist es schwierig, motiviert zu bleiben. Hauptsache ins Ziel kommen, sage ich mir, während ich mich den steilen Hang hinauf kämpfe.

Endlich höre ich aus dem Nebel einen Dudelsack pfeifen – das unmissverständliche Zeichen, dass der Kulminationspunkt naht! Und nach einer weiteren Wasserstelle laufe ich endlich auf der Moräne dem Pfeifen entgegen. Jetzt taucht der Dudelsackspieler auf und ich bin überglücklich – erste Emotionen kommen hoch. Jetzt nur noch bergab ins Ziel. Die Beine laufen lassen ist bei diesem rutschigen Terrain nicht ganz ohne nach über 40 Kilometern und die Flasche ist langsam leer. Ein Schlussspurt, der den Namen auch verdient hat, liegt nicht mehr drin. Hingegen kann ich den Zieleinlauf – wiederum von zahlreichen Zuschauern gesäumt – voll geniessen und freue mich riesig, die 4-Stunden-Marke unterboten zu haben.

In 3:54.03,2 Stunden erreiche ich mein Ziel und den 26. Rang von 429. Klassierten in meiner Alterskategorie. Overall erreiche ich mit dem 97. Rang sogar die Top 100, was mich zusätzlich freut.

Neben einer Regenpelerine gibt es eine Finisher-Medaille, das Finisher-Shirt und reichlich Verpflegung. Anschliessend gehe ich direkt zum Gepäckdepot, wo die fleissigen Helfer die Gepäckstücke bereits nach Startnummern sortiert haben. Nach kurzer Suche im Haufen finde ich meinen Rucksack und freue mich auf die warme Dusche im Zelt. Noch ist es ziemlich leer und ich geniesse es, wie die Lebensgeister langsam in die unterkühlten Extremitäten zurück finden.

Die Rückreise führt mich mit der Bahn via Grindelwald nach Interlaken, wo nach wie vor Feststimmung herrscht. Rundum zufrieden trete ich die Heimreise an und kann mir gut vorstellen, in der Hoffnung auf super Wetter diesen perfekt organisierten Lauf wieder einmal zu absolvieren.

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