Bereits vor Jahresfrist machte mich ein Arbeitskollege darauf aufmerksam, dass es ab 2014 den berühmten Vasalauf auch im Sommer gibt – als Ultra-Marathon. Nach anfänglichem Zögern – da ich aufgrund meines Umzugs nach Belgrad nicht sicher war, ob das Trainingspensum für einen solchen Lauf ausreichen würde – entschied ich mich trotzdem, dieses Unterfangen zu wagen. Leider waren bis dahin bereits alle Startplätze vergeben. Glücklicherweise konnte man als Ausländer noch entsprechend reservierte Plätze erhalten, was mir dann auch gelang.
Nach dem Belgrad Marathon im Frühling, der nicht ganz wunschgemäss lief, war dies also mein zweiter grosser Laufanlass im 2014. Trotz nicht vollkommen optimalem Training konnte ich noch ein paar gute Longjogs an den Wochenenden vorher einschalten – teilweise in grosser Hitze und unter der sengenden Sonne von Belgrad. Dabei hoffte ich, dass die Temperaturen in Schweden angenehmer sein würden.
Doch zuerst musste ich einmal nach Schweden kommen. Das Hotel hatte ich bereits im Vorjahr zusammen mit dem Lauf reserviert. Ein weiser Entscheid, war es doch mittlerweile ausgebucht. Der Flug ging mit Lufthansa über München und anschliessend reiste ich per Bahn von Stockholm nach Mora. Die gesamte Anreise verlief problemlos und so war ich bereits am Donnerstagabend am Ort des Laufziels. Am Freitag holte ich die Startnummer und war positiv überrascht über die perfekte Organisation – die lange Geschichte des Vasalaufs machte sich hier bemerkbar. Nach ein paar kleinen Einkäufen bereitete ich meine Gepäckstücke vor, versuchte ein wenig vorzuschlafen und legte mich auch nach dem Nachtessen nochmals hin. Denn um 01:00 Uhr am Samstagmorgen ging bereits wieder der Wecker!
Mit Bussen wurden wir um 02:30 Uhr nach Sälen zum Startgelände gefahren. Auch dieses war extrem gut eingerichtet, obwohl wir natürlich nur einen Bruchteil des Langlauf-Startgeländes beanspruchten. Schliesslich waren auch nur 1000 Startplätze für den UltraVasan 90 vergeben worden. In den verbleibenden 1.5 Stunden genoss ich die Ruhe vor dem Sturm, versuchte mich, warm zu halten und überdenkte mehrmals meinen Tenü- und Ausrüstungsentscheid. Die Wettervorhersage prognostizierte Temperaturen von 9-14 °C mit hoher Regenwahrscheinlichkeit gegen den Nachmittag. Doch ich blieb dabei: kurz/kurz und keinen zusätzlichen Trinkrucksack oder –flasche bis zur Halbzeit. Somit brachte ich die beiden Gepäckstücke zu den Transportwägen. Während das Hauptgepäck direkt nach Mora ins Ziel befördert wurde, konnte man einen Sack mit Wechselkleidern nach Evertsberg zur Halbzeitmarke bringen lassen.
Nun galt es ernst: Die Teilnehmer wurden aufgefordert, den Startbereich zu betreten. Die Stimmung war ausgelassen und man konnte die Spannung in der Luft förmlich spüren. Anders als bei kürzeren Läufen herrschte aber keinerlei Gedränge und die Ellbögen blieben am Körper. Noch war es ziemlich dunkel und die Temperaturen frisch. Als pünktlich um 05:00 Uhr der Startschuss erklang, setzte sich die knapp 800-köpfige Masse in Bewegung. Unter lautem Applaus und Zurufen ging es in eine kurze Startschleife, bevor wir das Startgelände leicht ansteigend in den Wald hinein verliessen.
Ein konkretes Zeitziel nahm ich mir nicht vor, vielmehr wollte ich versuchen, den Lauf als Erlebnis zu geniessen. Und wenn es optimal laufen sollte, stellte ich mir eine Zeit von unter neun Stunden als realistisch vor. Vorerst nahm ich mir vor, mithilfe meiner GPS-Uhr nicht schneller als 5:00 min/km anzulaufen. Ich fühlte mich gut und genoss die frühmorgendliche Stimmung. Die Tenüwahl stellte sich bereits nach kurzer Zeit als richtig heraus. Jetzt hoffte ich lediglich, dass sich die prognostizierten Regenfälle möglichst lange Zeit liessen.
Der erste Teil war nicht sehr technisch, sondern wurde auf breiten Waldstrassen gelaufen. Bereits kurz nach dem Start kam Daen – ein weiterer Schweizer Teilnehmer – von hinten angelaufen und erkannte mich. Trotz Knieproblemen versuchte er, den Lauf zu beenden. Bis zum ersten Verpflegungsposten in Smagan liefen wir zusammen, ehe ich dort das erste Mal ein Toitoi von innen inspizieren musste – nichts Neues bei meinem Magen also.
Nun folgten die ersten technischen Passagen: Single-Trails mit sehr vielen Wurzeln durchsetzt, sumpfige Abschnitte und zahlreiche Holzbrücken, die lediglich aus zwei Brettern bestanden. Da sich zu diesem Zeitpunkt noch immer kleine Gruppen bildeten, wippten die Brücken extrem und das Wasser schwappte mitunter in die Schuhe. Längere Zeit war ich durch eine langsame Gruppe vor mir behindert und ein Überholen praktisch unmöglich. Dabei störten nicht die verlorenen Sekunden, sondern vielmehr die Tatsache, dass ich nicht meinen Rhythmus laufen und nur immer 1-2 Meter voraus schauen konnte. In einem Waldstück konnte ich dann endlich überholen und lief bald darauf wieder auf Daen auf. Bis zum nächsten Verpflegungs- und Totoi-Stopp liefen wir wiederum gemeinsam.
Die Verpflegungsauswahl war relativ üppig und so versuchte ich mich einmal mit Brötchen und einer halben Banane. Und bei den Wasserstellen schnappte ich mir jeweils mindestens einen Becher Wasser. Trotz den Magenunannehmlichkeiten fühlte ich mich nach wie vor gut und war froh, dass es bisher nur ganz leicht nieselte.
Kurz nach Risberg holte ich wiederum Daen ein und wir passierten zusammen die Marathon-Marke, die mit einem grossen Torbogen markiert war – zusammen mit einem anschliessenden Transparent: „We are ultramarathoners!“ Interessant war für mich auch die Tatsache, dass ich die Marathonmarke mit 3:50 Stunden schneller passierte als bei meinem allerersten Marathon in Budapest. Daen musste anschliessend reduzieren und so lief ich alleine nach Evertsberg.
Mittlerweile regnete es in Strömen und ich war komplett durchnässt. In Evertsberg wartete neben Verpflegung auch das persönliche Gepäck. Ich überlegte kurz, ob ich die Socken oder das Shirt wechseln oder sogar die Regenjacke anziehen sollte. Ich verwarf sämtliche Optionen, legte meine Sonnenbrille (bis hierhin in vollem Optimismus auf dem Kopf) in den Sack und nahm dafür die Trinkflasche fürs Handgelenk mit. Daen war mittlerweile auch eingetroffen und entschloss sich nach kurzer Überlegung, das Rennen trotz seinem Knie fortzusetzen. Ich gönnte mir noch einen Teller Pasta und einen Becher Blaubeersuppe, bevor ich mich ebenfalls auf die zweite Hälfte machte.
In Evertsberg sagte Daen noch im Spass, wir können ja unterstehen, bis der Regen aufhört. Und in der Tat liess er bald nach. Ich war sehr froh darüber, kühlt man doch mit völlig durchnässten Kleidern trotz Laufen ziemlich schnell aus . Nun ging es hinunter nach Oxberg. In der Streckenbeschreibung hiess es, ab Evertsberg folge schnelles Terrain, doch kurz darauf fand ich mich im Sumpfgebiet wieder. Dies war ein äusserst kräftezehrender Abschnitt, in dem es mir mehr als einmal fast den Schuh auszog. Daen hatte ich mittlerweile wieder überholt und lief alleine – wobei ich in einer losen Gruppe häufig die gleichen Gesichter um mich sah. Das Feld war aber sehr auseinander gezogen und es gab Phasen, wo ich vor und hinter mir niemanden sah. Dazu kamen teilweise Abzweigungen, wo auf den ersten Blick nicht ersichtlich war, welches die markierte Strecke ist. Immer wieder führte die Strecke durch Abschnitte mit Werbebannern links und rechts – ein klares Anzeichen, dass im Winter der Vasalauf hier durch geht.
Bis hierhin lief ich sämtliche Abschnitte und nahm mir immer wieder neue Ziele vor, bevor ich nicht ins Gehen wechseln wollte. Zuerst Streckenhälfte, dann 50 km, 60 km. Dann entschied ich, jeweils bergauf zu gehen. Insbesondere bei kurzen, steilen Aufstiegen war der Zeitverlust dadurch minimal und die Kräfteersparnis nennenswert. Bei Hökberg – 19 km vor dem Ziel – folgte der letzte, grosse Verpflegungsposten. Ich gönnte mir nochmals Pasta und Blaubeersuppe.
Beim Loslaufen traf ich einen Schweden, der in Schottland lebt. Nachdem er mir sagte, dass ich noch ziemlich frisch aussähe, kamen wir ins Gespräch und liefen anschliessend zusammen. Dieses „Paarlaufen“ war extrem hilfreich, führte es doch dazu, dass niemand aufgab und ins Gehen wechselte. Entsprechend überholten wir einige Läufer in dieser Phase. Kurz vor Eldris musste ich ihn jedoch vorerst nochmals ziehen lassen.
Eldris war ein letzter, kleiner Verpflegungsstopp 9 km vor dem Ziel. Nun schien es lediglich noch eine Formsache zu sein, nach Mora zu laufen. Seit dem Start gab es jeden Kilometer ein Schild mit den verbleibenden Kilometern bis Mora sowie zur jeweils nächsten Verpflegung. Die mittlerweile einstelligen Zahlen machten Mut, jedoch waren auch die Kraftreserven entsprechend am Ende. Trotzdem lief ich bis auf die Bergauf-Passagen fast alles und freute mich dann, die Zahl „3“ zu lesen. Nun waren auch die ersten Häuser von Mora zu sehen. Wir liefen durch Moras Campingplatz und dann nochmals über eine letzte Steigung: Eine Brücke kurz vor der langen Zielgeraden.
Den Zieleinlauf wollte ich ausgiebig geniessen und die Stimmung entlang der Zielstrasse in Mora war super. Kurz nach 14:00 Uhr erreichte ich nach kräftezehrenden 9:07:53 Stunden das Ziel, was den 44. Kategorienrang (133 overall) bedeutete. Angesichts des reduzierten Trainings und der doch sehr anspruchsvollen Strecke war ich äusserst zufrieden mit der Zeit, auch wenn ich die neun Stunden nicht unterbot.
Obwohl die Verpflegung auch im Ziel wiederum reichhaltig war, konnte ich nichts essen. Ich nahm mir ein Getränk, setzte mich auf eine Bank und genoss den Moment. Das Gepäck wartete bereits sauber sortiert und bald darauf stand ich bereits unter der warmen Dusche im Hotel. Anschliessend leerte es dann doch noch wie aus Kübeln herunter und ich war froh, nicht mehr auf der Strecke zu sein. Ein überaus gelungenes Laufwochenende nahm am Abend mit einem Elch-Burger und einem anschliessenden Bier zusammen mit der Schweizer Delegation sein Ende.
Ganz stark! Da hat sich dein Körper offensichtlich noch an den 100er in Biel erinnert 😉