Als ich heute Morgen meine Wohnung für den Einkauf verliess, glich die Stadt einem Kriegsgebiet: Die komplette Innenstadt (bis zu meiner Strasse) ist abgeriegelt, an jeder Ecke stehen Polizisten und ein Helikopter kreist ununterbrochen über der Stadt. Krieg? Mitnichten. Lediglich Belgrade Pride Parade, welche einige hundert Meter von meiner Wohnung startet.
Nachdem die letzte Parade 2010 in üblen Ausschreitungen und mit mehr als 150 Verletzten endete, ist heuer ein massives Sicherheitsaufgebot präsent. Nachdem gestern mehrere Gegendemonstrationen stattfanden und die Regierung bis in die letzten Minuten vor dem geplanten Start die Entscheidung zur Bewilligung hinauszögerte, war die Durchführung alles andere als klar. Doch nun schützen 7′000 Sicherheitskräfte die Teilnehmer, unter ihnen auch der Bürgermeister von Belgrad.
«Der Fortschritt einer Gesellschaft misst sich an deren Toleranz gegenüber Minderheiten.» In diesem Sinne wünsche ich mir, dass auch in Serbien die Rechte von Minderheiten breiter akzeptiert werden – vor allem im Hinblick auf eine Annäherung an Westeuropa und die EU. Im Gegenzug habe ich die Serben als so freundliches und herzliches Volk kennen gelernt, dass ich mir fast nicht vorstellen kann, wie sie sich von einer solchen Minderheit in ihrem Gesellschaftsverständnis bedroht fühlen können. Aber es gibt nach wie vor starke nationalistische und auch religiöse Tendenzen, denen sämtliche Beziehungsformen ausserhalb des «normalen» Familienverständnisses zuwider sind.
Die Parade ist ohne grössere Zwischenfälle zu Ende gegangen. Es gab zahlreiche Verhaftungen, aber bisher keine Verletzten. Dies ist sehr erfreulich. Jedoch ist man noch weit von Normalität entfernt, wenn es 7′000 Sicherheitskräfte mit Panzerwagen und Helikopter benötigt, um einen solchen Event zu ermöglichen.