Chasing Cancellara: Zürich-Andermatt

Bisher konzentrierten sich meine sportlichen Wettkämpfe auf Laufevents. Die längeren und spezielleren Rennradtouren waren immer privat mit Kollegen organisiert. Dies ändert im 2025: Wir haben uns für Chasing Cancellara (CC) Zürich-Andermatt angemeldet. 194 km, 4200 hm. Albispass, Raten, Sattelegg, Glarnerland, Klausenpass, Schöllenen. Gestartet wird frühmorgens nachts, die Strassen sind nicht abgesperrt. Wir melden uns bereits Ende 2024 im Dreierteam an. Die Kilometer dürften kein Problem werden, die Höhenmeter schon eher.

Neben dem Lauftraining fahre ich im Jahr 3’000-4’000 km Rennrad. Häufig kombiniert mit dem Arbeitsweg plus gelegentliche Wochenend-Ausfahrten mit Freunden. Ausgedehnte Pässefahrten habe ich schon länger nicht mehr gemacht, oft aber die Nebenstrassen des hügeligen Zürcher Oberlands erkundet. Im Angesicht der CC-Herausforderung baue ich gezielte Höhenmeter-Trainingsrunden ein und bin grösstenteils guten Mutes.

Eine Woche vor dem Event folgt die Hauptprobe: Es herrscht gerade eine Hitzeperiode mit gut über 30 °C und ich fahre in 150 km über die Ibergeregg sowie den Pragelpass von Muotathal her. Doch die Pragel-Rampen in der Mittagshitze ziehen mir beinahe den Stecker und verursachen Krämpfe. Ich hinterfrage meine Routenwahl, den CC-Event und teilweise das Leben. Irgendwie quäle ich mich den Pass hoch und geniesse kurz darauf den Kontrast des Rennradfahrens: Bergwärts fast kollabiert, rollt es geradeaus fast problemlos und das Klöntal hinab sowieso. Trotzdem hat die Hauptprobe über 2700 hm eher Bedenken geschürt als Zuversicht gespendet. Trotzdem habe ich drei Erkenntnisse gewonnen:

  1. Möglichst alle Steigungen im Sitzen fahren, da ich im Wiegetritt sehr leicht überpace.
  2. Trinken ist essentiell – vor allem bei diesen Temperaturen. Keine neue Erkenntnis, aber trotzdem wichtig in der Verpflegungsplanung.
  3. Magnesium supplementieren in der Woche vor dem Wettkampf, um Krämpfen vorzubeugen.

Nach einer intensiven Arbeitswoche packe ich am Freitagabend den Rucksack, rüste das Rennrad nachttauglich aus und versuche um 21:00 Uhr, ein paar Stunden Schlaf vorzuholen. Der Wecker klingelt kurz nach Mitternacht und es geht per Velo über den Seerücken und dann mittels Nachtzug nach Zürich. Die Hitzewelle hält an und so bewegen sich die Temperaturen auch nachts nicht unter 15 °C. Für den späteren Nachmittag sind Gewitter in den Bergen vorausgesagt, aber da hoffen wir, bereits in Andermatt zu sein.

Eine Mischung aus Anspannung, Vorfreude und Adrenalin liegt in der Luft der Saalsporthalle. Die Registrierung verläuft speditiv und wir erhalten unsere Leuchtweste im Austausch mit dem unterschriebenen Waiver. Wir entscheiden uns, kurz/kurz loszufahren und lediglich eine Weste und Ärmlinge für die Passabfahrten einzustecken. Noch Notproviant in die Trikottaschen und den Rest des Gepäcks geben wir auf nach Andermatt. Die Anspannung steigt: WC, Flüssigkeitszufuhr hoch halten und noch ein paar Bissen essen. Schon werden wir aufgerufen. Hektik kommt auf, da noch ein Teammitglied auf dem WC ist. Wir schaffen es rechtzeitig durch den Velocheck an die Startlinie.

Startschuss um 03:07 Uhr. GPS-Signal habe ich bereits vorher draussen eingefangen und so sind wir direkt nach Hallenausfahrt auf der magenta Linie in Richtung Andermatt. Ich fühle mich gut, es rollt sich leicht durch die Nacht und die Vorfreude weicht der Zuversicht, dass es nun endlich losgeht. Auf den ersten Kilometern sehen wir noch einige Teams, da wir in 45-Sekunden-Abständen gestartet sind. Das Feld zieht sich aber schon sehr bald auseinander. Nach gemütlichem Einrollen auf flachen Kilometern geht es ab Adliswil in die erste Steigung hinauf auf den Albispass. Ähnlich wie bei Laufevents müssen wir uns aktiv drosseln, um nicht euphorisiert die Steigungen hinauf zu fliegen und es später im Event zu bereuen.

Auf dem Albispass verzichten wir auf einen Tenüwechsel und sausen hinunter Richtung Sihlbrugg. Es ist leicht frisch aber angenehm zum Fahren. Der Sihl entlang geht es stetig aufwärts zum Ägerisee. Diesen Abschnitt des Rennens sind wir vor ein paar Wochen bereits einmal gefahren, aber ich kann mich nicht mehr an die Details erinnern – zudem ist es noch immer dunkel. Hinauf zum Raten sehen wir hinter uns weitere Gruppen wie Glühwürmchen die Passstrasse erklimmen. Oben erwartet uns der erste Verpflegungsstopp. Um mich hydriert zu halten, habe ich mir vorgenommen, zwischen den Verpflegungsposten jeweils beide Bidons auszutrinken. Das ergibt etwa einen Liter pro Stunde. Somit kurz Bidons füllen, ein paar Bissen essen und wiederum ohne Tenüwechsel hinunter Richtung Einsiedeln. Diese Abfahrt ist kühler, aber wir kommen in flaches Terrain, bevor wir vollständig auskühlen.

Bisher läuft oder besser gesagt fährt es uns allen gut. Auch die Müdigkeit macht keine Probleme. In der Planung hat mir vor allem der Anstieg zur Sattelegg gewisse Sorgen bereitet – vor allem wegen deren Steigungsprozenten. Einmal drin, fühlt sich die Rampe zu Beginn durchaus steil an. Doch wir sind ja noch nicht einmal 60 km im Rennen, somit sind die Beine noch frisch. Auch hier müssen wir uns zeitweise drosseln und holen auf dem Aufstieg trotzdem bereits Einzelathleten ein. Auf der Sattelegg gönnen wir uns dann Weste und Ärmlinge, um sämtliche seit Beginn gewonnenen Höhenmeter hinab nach Siebnen wieder zu vernichten.

Ich bin technisch kein sehr versierter Abfahrer und wir sind uns in der Gruppe einig, dass wir kein übermässiges Risiko eingehen wollen. Bereits in der Anfahrt zur dritten Kurve der Abfahrt sehen wir Warndreiecke und helle Beleuchtung. Nun kommt auch der Krankenwagen ins Blickfeld, der uns in der Steigung zur Sattelegg mit Blaulicht überholt hatte. Ein paar Meter weiter sehen wir dann auch den Rega-Helikopter neben den Leitplanken stehen. Der gestürzte Fahrer wird bereits im Krankenwagen gepflegt, als wir vorsichtig vorbei fahren. Kein schöner Anblick und eine gute Erinnerung, dass unfallfreies Ankommen so viel wichtiger als die Fahrzeit ist.

In der Anfahrt ins Glarnerland werden wir noch vor Schübelbach von einer Kuhherde aufgehalten. Eigentlich war der Alpabzug erst für den Urnerboden angekündigt… Nun werden mehr oder weniger flache Kilometer gebolzt. Wir wechseln uns in der Führungsarbeit ab, fahren aber nicht konsequent Windschatten und High-speed. Die Sonne ist mittlerweile aufgegangen, trotzdem muss bis 07:30 Uhr Licht und Leuchtweste an bleiben. In Glarus geniessen wir den zweiten Verpflegungsposten. Die Stimmung ist gut: WC, Essen, Bidons füllen und kurzes Status-SMS nachhause.

In Linthal gilt es ernst: Anstieg zum Klausenpass respektive Urnerboden. Ich fühle mich gut in den ersten beiden Kopfsteinpflaster-Serpentinen, fahre aber bewusst im kleinsten Gang, um die Kraft einzuteilen. Unsere Gruppe zieht es leicht auseinander. Wir haben abgemacht, dass jeder sein Tempo in den Steigungen fahren soll und wir jeweils aufeinander warten – das nächste Mal beim Verpflegungsposten. Dieser befindet sich anfangs Urnerboden, wo die Zeit neutralisiert wird, da die Bodäfahrt heuer genau am gleichen Samstag stattfindet. Zwei von uns kommen gleichzeitig an und der dritte folgt auch nach ein paar Minuten. Wir nehmen uns die (neutralisierte) Zeit für solide Verpflegung. Ich halte mich übrigens an Bewährtes. Es ist ohnehin nicht empfohlen, Experimente am Wettkampf zu machen. So esse ich Bananen, Orangen, Landjäger, Salzstangen, Linzertörtchen und Biberli. Einzige Ausnahme mache ich beim Iso-Drink, den ich noch nicht kenne. Er ist aber super verträglich und wird mich bis ins Ziel nicht bestrafen.

Auf dem Urnerboden müssen wir dann wirklich kurz anhalten, um die Kühe passieren zu lassen. Doch schon bald geht es wieder in die Steigung. Wiederum fahren wir zu zweit in einer konstanten Pace. Ich spüre meine Beine, aber keine Anzeichen von Krämpfen oder anderen muskulären Problemen. Noch drückt die Sonne, aber hinter uns verdichten sich die Wolken und es ist ein fast konstantes Grollen zu hören. Holt uns das Gewitter trotzdem noch ein? Auf der Passhöhe warten wir auf den dritten im Bunde und spüren erste, grosse Tropfen. Unmittelbar vereint und die Zeitneutralisation aufgehoben, entschliessen wir uns daher, sofort nach Tenüwechsel die Abfahrt in Angriff zu nehmen. Die ersten Kurven werden noch nass und müssen extra vorsichtig gefahren werden, danach fahren wir dem Regen davon und geniessen eine lange und trockene Abfahrt.

In Altdorf gibt es einen ungeplanten Bäckereistopp, da nicht alle unserer Gruppe das Angebot der Verpflegungsstationen schätzen respektive überzuckern würden, wenn sie die Kalorien nur dort decken. Für uns aber kein Problem, da wir wie bereits erwähnt nicht auf Zeit fahren. Somit liegen Sandwich und Cappuccino bestens drin. Kurz danach verpflege ich dann plangemäss in Schattdorf. Ich geniesse das vielseitige Buffet während dem Event richtiggehend und vertrage alles bestens. Die Stimmung ist nach wie vor bestens, so dass wir zuversichtlich sind, Andermatt zu erreichen. Auch wenn mit der Schöllenen noch einige Höhenmeter auf uns warten, die bereits im Vorfeld das eine oder andere Bedenken auslösten.

Diese scheinen bei mir jedoch unbegründet. Ja, die Beine werden merklich schwerer. Aber meine Angst vor Krämpfen durch steile Rampen, Hitze oder zu wenig Flüssigkeit bewahrheitet sich nicht. Bevor die Steigung anzieht, treffen wir zufällig noch einen Kollegen, der das Event auf dem Motorrad als Marshaller begleitet. Nach einem kurzen Schwatz geht es hinauf nach Wassen, wo wir uns am letzten Verpflegungsposten stärken. Und von einem Schauer überrascht werden. Der Blick aufs Regenradar zeigt, dass dieser in zehn Minuten vorbei ist und wir dann ein trockenes Zeitfenster von einer knappen Stunde haben. Nichts wie los auf die letzten 11 Kilometer!

Die es steigungsmässig in sich haben. Die Galerien der Schöllenen warten in einem feucht-tropischen Klima. Ich ziehe unsere Gruppe hinauf. In den steilsten Rampen muss ich dann doch noch in den Wiegetritt. Aber so kurz vor dem Ziel sollte dadurch nichts mehr anbrennen. Teufelsbrücke in Sicht, das müsste es eigentlich sein! Aber wieso zeigt meine Uhr noch immer 270 Höhenmeter bis zum Ziel an? Dies entpuppt sich eine Kurve weiter als Falschmeldung, wo ich am Dorfeingang Andermatt auf meine beiden Mitstreiter warte. Zu dritt suchen wir den Einfädler in die Zielrunde und geniessen die Triumphfahrt durch die Furkagasse direkt auf die Piazza San Gottardo inmitten des neuen Quartiers.

Wir geniessen den Moment und kosten ihn mit zahlreichen angebotenen Getränken aus: diverse Recovery-Drinks und -Shakes sowie ein (alkoholfreies) Bier zum Anstossen starten unsere Erholungsphase kurz nach Zieldurchfahrt. Durchschnaufen, hinsetzen, geniessen. Nach einer Dusche und dem wohlverdienten Finisher-Mittagessen geniessen wir die Nachmittagssonne auf dem Hauptplatz, während noch ständig Mitstreiter ins Ziel kommen.

Mit unserer offiziellen Zeit von 9:30:16 Stunden erreichen wir den 16. Rang von 28 Teams. Dies ist jedoch ziemlich zweitrangig. Ich freue mich, dass wir bei beinahe perfekten Bedingungen ein super Erlebnis zu dritt ohne Unfälle, Defekte oder andere Probleme erleben durften. Auf der Bus-Rückfahrt setzt die Müdigkeit ein und wir träumen bereits von unseren nächsten (Rad-)Abenteuern…

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